/7/ Dr. Anita Kühnel, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Staatlichen Museen zu Berlin, Leiterin der Sammlung Grafikdesign der Kunstbibliothek, Eröffnung der Ausstellung von Kerstin Göldner und Alexander Sgonina „Bilder und Steine“ in der Galerie Grünstraße 6.2.2014

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Nicht immer sind Ausstellungen Orte der Stille, wo von dem Eintretenden der Lärm der Straße abfällt, sowohl der akustische als auch der optische.

Im Spannungsfeld scheinbar entrückter, fast immateriell wirkender Farbklänge der Stillleben und Landschaften Kerstin Göldners und der den Raum gliedernden, stummen, zeichenhaften Steinskulpturen Alexander Sgoninas bauen sich zugleich Distanz und Nähe auf. Es ist ein beinahe selbstverständliches Sosein, das, aller Flüchtigkeit entledigt, uns ganz unspektakulär, bisweilen beinahe spröde gegenübertritt. Die hellen Sand – und Kalksteinfiguren Alexander Sgoninas behaupten sich im Farbenmeer eines überwiegenden Blaus, öffnen den Raum, setzen vertikale Markierungen zwischen gemalte Horizonte und antworten auf die tektonischen Schwingungen der Malerei.

Diese Ausstellung ist insofern eine Premiere, als beide Künstler – zwar nicht zum ersten Mal – aber zum ersten Mal hier in Berlin gemeinsam ausstellen. Beide haben sich relativ spät entschlossen, einen zunächst eingeschlagenen Berufsweg zu verlassen, um sich ganz der künstlerischen Arbeit zu widmen: Alexander Sgonina begann 33-jährig sein Bildhauerstudium, Kerstin Göldner, hatte fast 40-jährig begonnen, als freiberufliche Malerin zu arbeiten. Umso geradliniger sind beide ihren künstlerischen Visionen gefolgt, umso entschiedener haben sie ihre künstlerischen Sprachen entwickelt.

„Und am ende ganz am ende
Wird das meer in der erinnerung
Blau sein.“

Diese Worte Reiner Kunzes könnten über den Bildern Kerstin Göldners stehen.

Ihre Landschaften fallen in ihrer lichten Farbpalette heller bis kräftig leuchtender Blautöne, eines Gelb und gebrochener Grüntöne auf, aus denen bisweilen ein Rot oder Ockerbraun hervorbricht. „Am Meer“, „Boot und Reusen“, „Scheunendach“, „Lieper Winkel“, „Fischland“ – stets sind es Orte der Ostseeküste, die der Malerin wiederholte Anlässe bildnerischer Auseinandersetzung bieten, Sehnsuchtsorte, Orte der Kindheit und Jugend, die die gebürtige Berlinerin geprägt haben, an die sie bis heute stets zurückkehrt. Das geografisch Konkrete tritt in den Bildern hinter die Landschaftsempfindung zurück, die Ossip Mandelstam in seinem Gedicht Silentium mit den Worten beschrieb:

„Im Meer das Atmen, ruhig, immer, 
Das Licht durchwächst den Raum.“

Es scheint, als wolle Kerstin Göldner sich mit jedem ihrer Bilder dieses vertrauten wie gleichsam geheimnisvollen Lichtes vergewissern, dass das bläulich schimmernde Meer durchdringt und dessen Widerschein in die Atmosphäre aufsteigt, an die Konturen des Festlandes stößt, sie durchdringt, mit ihnen verschmilzt, sich bald verhüllend über sie legt oder in überraschende Kontraste gerät.

Die Bilder strahlen etwas von jener glückseligen Trunkenheit aus, mit der man sich bedingungslos geliebten Orten und Erinnerungen zuwendet. Immer ist darin ein romantisches Moment zu beobachten, das nichts mit Verklärung oder gar Mystifizierung zu tun hat, sondern mit immer wiederkehrender Sehnsucht nach dem Zustand innerer Freiheit. „In der Natur fühlen wir uns wohl, weil sie kein Urteil über uns hat.“ Diese Worte Friedrich Nietzsches erklären die gesuchte innere Freiheit, das Freiwerden von Befangenheiten, die immer nach Erklärung oder Rechtfertigung verlangen. Bei Kerstin Göldner ist dieses Freiwerden in Farbe übersetzt, die Räume bildet und zugleich melodische Klänge erzeugt. Manchmal sind die malerischen Formen von Linien durchzogen, die Landschaftskonturen andeuten oder Pflanzen in klar umrissenen, zarten, bisweilen skizzenhaften Zeichnungen zeigen, die sich gegen die | sich in scheinbarer Abstraktion auflösenden Farbflächen stellen, als Zäsuren, wie kompositorische Klarstellungen. Stärker noch begegnet man ihnen in den Stillleben, die - anders als die Landschaften - gebaut sind und doch die Selbstverständlichkeit gesetzter Ordnung ausstrahlen, unverrückbar und schlicht zugleich. Oft sind sie von einem Rosa überzogen, das wie ein Morgenrot die Dinge in ein gleichmäßiges Licht taucht, in Grün gebettet oder ganz auf Blautönen aufgebaut. Ganz anders als diese letztlich auch landschaftlich begriffenen Formzusammenstellungen wirken die Figurenbilder. Figuren sind oft vor eine Landschaft gesetzt. Konkrete körperliche Physiognomien werden in typischen Haltungen der Modelle sichtbar. Fotos vergleichbar, erinnern sie zuweilen an bewusstes Posieren. Gesichter bleiben unkenntlich, vage wie verblassende oder bereits erloschene Erinnerungen. Sie geben den Bildern etwas Melancholisches. Hier wird Landschaft zur Umgebung der Figuren, mit denen die Erzählung ins Bild kommt. Die reinen Landschaften dagegen sind von einer beinahe kompromisslosen und bewundernswerten malerischen Konsequenz.

Diese Art von Kompromisslosigkeit findet man auch in den Arbeiten Alexander Sgoninas.

Der Bildhauer ist mir bisher immer als Analytiker begegnet, als jemand, der die menschliche Figur zum Anlass nimmt, Gesetze von Statik, Bewegung und Balancen sezierend zu hinterfragen, vom Detail auf das Ganze schließend und umgekehrt im Ganzen das Detail erkennend, ohne immer das Abbildhafte anstreben zu müssen. In der Anatomie des menschlichen Körpers öffnet sich eine Vielzahl von Möglichkeiten, gegensätzliche Formen und Bewegungen, Symmetrien und Asymmetrien, von konkav und konvex, kompakt und grazil usw. als universelle Zeichen des Lebens zu begreifen. Die meisten Arbeiten, die ich bisher sah, sind aus Gips, Zement, Bronze, aber auch Blei und Eisen. Daneben sind über einen langen Zeitraum Steinskulpturen entstanden, von denen hier nun einige zu sehen sind. In beinahe minimalistischer Weise konjugiert Alexander Sgonina verschiedene Körperhaltungen in seinen steinernen Menschenbildern. Sie erinnern an Sitzende, Kauernde und Stehende und in ihrer monumentalen Ausstrahlung zuweilen an kultische Figuren, die ihrer konkreten Bestimmung entwachsen zu sein scheinen und dennoch ihre magische Kraft behalten haben. Diese Arbeiten sind Form gewordene Erkundungen im Stein auf dem Weg zur menschlichen Figur, stets fragend, wie viel Abtragen vom Stein nötig ist, um Figur entstehen zu lassen. Hier ist jede Geste, jedes erzählerische Moment vermieden. Die Figuren scheinen gleichsam gefangen im Korsett des Steins, in sich gekehrt, als böte der Block Rückhalt und letzten Schutz. Die Erinnerung an Buddha-Figuren stellt sich ein, mehr noch an altägyptische Skulpturen, deren Statuarik etwas unverrückbar Ewiges ausstrahlen. In der Haltung zwischen Sitzen und Kauern nimmt man manchmal auch die des Widerstandes wahr, das sich Herausschälen, das Befreien-Wollen der Figur aus der Matrix. Je stärker vom einstigen Stein abgetragen wurde, desto mehr stellt sich der umgekehrte Eindruck des Eruptiven ein, des aus dem Stein Herauswachsens. Oder ist es doch ein Zurückkehren in den Stein, in den Urgrund, der nicht mehr da ist? Halten sich hier Werden und Vergehen auf eigentümliche Weise die Waage, die mal zu der einen, mal zu der anderen Seite ausschlägt? Ist darin nicht auch der Ausdruck des Verschwindens enthalten, der Unmöglichkeit, eine ursprüngliche Vorstellung festzuhalten und ihre selbstverständliche, weil folgerichtige Verwandlung? Dies alles ist von einer erstaunlichen Unaufgeregtheit. Bewegung ist in Gestalt geronnen, als hätten Kräfte der Natur sie geformt. Diese Figuren von zwingender Einfachheit sind gleichsam in sich selbst versunken und strahlen die Stille vollkommener Abgeschlossenheit aus. Darin ist zugleich etwas Rätselhaftes, etwas, das seit jeher die so genannten Bautasteine in skandinavischen Ländern ausstrahlen – aufgestellte Granite, von denen niemand weiß, ob sie von Menschenhand oder der Natur geformt sind, aufgestellt wie Figuren in der Landschaft, zum Totengedenken oder als Male längst vergessener Rituale. Vielleicht ist es gerade diese zwingende Einfachheit die zur inneren Einkehr einlädt und Anlass gibt, über existentielle Fragen zu meditieren.

Jean Paul Sartre sprach einmal von der Unreduzierbarkeit der Kunst.

„Man meint“, schrieb er, „man könne das Kunstwerk mit Worten dazu bringen, seinen Geist aufzugeben. Das Kunstwerk aber überlebt diese Worte, vermöge seiner Unreduzierbarkeit“.

In diesem Sinne sollen es der Worte genug sein. Wenden wir uns also der Kunst zu.

Berlin, den 6.2.2014, Galerie Grünstr.

Dr.Anita Kühnel

wissenschaftliche Mitarbeiterin der Staatlichen Museen zu Berlin, Leiterin der Sammlung Grafikdesign der Kunstbibliothek

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