/5/ Aeneas Bastian, Eröffnungsrede in der Galerie im Turm, Alexander Sgoninas „MENSCHENATLAS“, Februar 2010

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Zu Alexander Sgoninas Menschenatlas

Ich freue mich, heute in die Ausstellung von Alexander Sgonina einzuführen. Ich freue mich über diesen Anlaß aus zwei Gründen. Zum einen ist es für mich als Galeristen anregend, etwas Interessantes außerhalb des eigenen Programms und des festen Künstlerstamms der eigenen Galerie zu tun. Zum anderen gehört die Begegnung mit Alexander Sgonina im letzten Jahr zu den besonderen Begegnungen, die ich mit Künstlern haben durfte.

Ich möchte mich kurz fassen und nur einige Beobachtungen ansprechen, denn die Arbeiten sprechen für sich. Bevor ich Alexander Sgonina selbst kennenlernte, kannte ich seine Arbeiten überhaupt nicht. Ich fuhr im Spätsommer in sein Atelierhaus und fand dort neben Skulpturen eine ebenso überraschende wie überzeugende Reihe von zeichnerischen Arbeiten, von denen ich noch mehr sehen wollte. Mehr gab es aber nicht zu sehen – noch nicht. Es ergab sich bald ein intensives Gespräch über die Erweiterung, die Fortsetzung der Werkreihe. Zum Jahreswechsel erfuhr ich dann, dass mein Vorschlag den Künstler auf den Weg zu neuen Arbeiten gebracht hatte. An dieser Stelle möchte ich mich bei Bärbel Kicska bedanken, die den Kontakt hergestellt hatte und mir dadurch den glücklicherweise nicht folgenlosen Blick auf Sgoninas Werk ermöglicht hat.

Die Werkgruppe mit dem Titel „Menschenatlas“ ist also in den letzten Monaten gewachsen und zu dem geworden, was wir heute in Auszügen sehen können. Der Ausstellungstitel gibt bereits einen Hinweis zur Deutung. Die Bilder, die wir hier betrachten, sind Bilder vom Menschen, genauer gesagt vom menschlichen Körper. In diesen Arbeiten wird der Körper zur Landschaft, zum Terrain, das der Künstler aus eigener Anschauung kartographiert. Die forschende Vermessung des Menschen bildet eine rationale Grundlage für das Werk von Sgonina.

Seit einigen Jahren entstehen lebensgroße Aktzeichnungen nach Modellen, die den Menschen – auch in der Tradition der Renaissance von Leonardo da Vinci und ganz besonders von Albrecht Dürer – als räumliches Gebilde zeigen. Der Zeichner wird dabei zum Geometer, der den Menschen wie ein Terrain erfasst und das Ergebnis seiner Vermessungsarbeit bildlich darstellt. Die Hinweise auf den Blättern geben den jeweiligen Maßstab an. Auch in diesem Zusammenhang behandelt der Künstler den menschlichen Körper wie eine Landschaft. Vielleicht kommt in den zahllosen Linien und Markierungen auch ein Staunen über die Beschaffenheit des Körpers zum Ausdruck, das dem Staunen über eine außergewöhnliche Landschaft ähnlich ist. Anders als Yves Klein, dessen Körperabdrücke, die so genannten Anthropometrien, die französische Nachkriegsmoderne geprägt haben, geht es Sgonina nicht um stempelartige Abdrücke der menschlichen Anatomie. Vielmehr geht es ihm darum, den Menschen aus dem Kubischen, aus der Fläche herauszulösen, ihn aus einem Umraum zu befreien, der etwas Einschränkendes und Beängstigendes an sich hat.

Erstaunlich ist die überzeugende Beharrlichkeit, mit der der Künstler dieses Ziel verfolgt. Nach und nach fügt er Linien, Markierungen und Knotenpunkte zu einem Ganzen zusammen, das sich zyklisch fortsetzt und wiederholt. Diese Grundhaltung Sgoninas zeigt sich im periodischen Herausstellen der menschlichen Beschaffenheit.

Der Zeichner spricht den Menschen, also jeden an und verweist auf unseren Körper als Struktur, die uns vorgegeben ist. Bei der Betrachtung der Arbeiten setzen wir uns demnach mit uns selbst als körperlichen Wesen auseinander. Welche Umrisse, welche Masse, welche Verbindungen hat unser Körper und was bedeutet das für uns? Sein Atlas fordert zu dieser Selbstbefragung auf. Genau darin liegt letztlich das bemerkenswert Radikale im Werk von Alexander Sgonina.

Aeneas Bastian

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